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Erzaehlte Geschichte

Unterweiler aus der Vogelperspektive

Unterweiler aus der Vogelperspektive um das Jahr 1924.

Dies ist die nahe und weitere Umgebung, in der sich das Leben von drei alten Bürgern aus Unterweiler abspielte. Wir stellen vor: Einen Neunziger, der seine Worte bedächtig formuliert, damit diese mit Jahreszahlen belegt werden. Sein Familienname erscheint seit der Mitte des 18. Jahrhunderts in den Archivalien. Unsere Achtzigerin belebt das Gespräch und erhält die frische Anmut einer Frau um die Lebensmitte, wenn sie ins Erzählen einschwenkt. Kommt dann die Sprache aufs Essen, dann sprudeln bei ihr nur so die Rezepte heraus. Davon finden sich einige im Buch, damit es seinen heimattypischen Geruch behält. Dem Altbauern mit zwei Siebenern in der Altersangabe sitzt der Schalk hinter den Ohren und die Liebe zur Geschichte seines Dorfes tief im Herzen. Er setzt sie in die Tat um. Auch sein Familienname taucht in alten Aufzeichnungen auf. Gewiß gilt manches, das sich aus den Gesprächen herausgeschält hat, ebenso für andere Gemeinden und Landstriche, doch die eingeflossenen Anekdoten und Namen, mit denen die Jüngeren meist nichts mehr anzufangen wissen, würzen den bäuerlichen Alltag von einst. Sie geben ihm Lokalkolorit kurz bevor er verweht. Unsere drei Gesprächs-partner haben das vielen alten Menschen nachgerühmte Langzeitgedächtnis, das Einzelheiten von früher gespeichert, doch das was gestern sich ereignete nicht mehr sofort parat hat. Wenn sie sagen »mei Vatter, mei Großvatter«, dann reicht die Zeit zurück bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts, als die Technik das Bild der Landwirtschaft nach und nach grundlegend verändert hat. Diese Drei wollen ungenannt bleiben. Anders verhält es sich beim Fisch-bachhof, denn da kommen wir um Namensnennungen einfach nicht herum. Als Abschluß erzählt ein Ehepaar, das von Ungarn auf beschwerlich langen Wegen im April 1946 nach Unterweiler kam und
dort heimisch wurde.
Wir lassen nun dem Ältesten den Vortritt ohne thematische Vorgaben. Bei den beiden Nachfolgenden werden vorwiegend das Brauchtum und die Arbeit im Jahreslauf behandelt, doch manches andere dazwischengestreut. Es kommt auch zu einigen Wiederholungen, die das schon Erzählte bestätigen.

Familie Renz mit GEspann

Familie Renz im Jahr 1931 mit ihrem gemischten Gespann (Pferd und Ochse).

Wir lassen nun dem Ältesten den Vortritt ohne thematische Vorgaben. Bei den beiden Nachfolgenden werden vorwiegend das Brauchtum und die Arbeit im Jahreslauf behandelt, doch manches andere dazwischengestreut. Es kommt auch zu einigen Wiederholungen, die das schon Erzählte bestätigen.
Sein Hof hatte stets vier Pferde, darunter befanden sich zwei Stuten, damit für Nachwuchs gesorgt war. Früher sei Pferdezucht rentabler als Rinderzucht gewesen, denn die großen Garnisonen Ulm, Neu-Ulm und Wiblingen mit berittenen Truppenteilen benötigten gute Pferde. Der Veterinär der Wiblinger Ulanen war über den Pferdenachwuchs aus den umliegenden Gemeinden stets auf dem laufenden, denn er war dort auch als Tierarzt tatig. Wenn der »Fritz«, der »Moriz« lahmte, oder die »Lies« oder »Fanny« die Kolik hatte, erschien er zu Roß oder mit der Kutsche auf den Höfen. In Unterweiler gab es keine Großbauern. In der Regel hatten gutgestellte Bauern ein Gespann mit zwei Pferden und alle Jahre ein Füllen. Die größeren Bauern besaßen zwei Gespanne, also vier Pferde und fuhren daher meist mit zwei Wagen aufs Feld. Sie wurden bei besonderen Anlässen zu Fuhrfronen herangezogen, vor allem dann, wenn das Gespann ein stattliches Aussehen hatte. Es hieß »der hot a schöna Mene«. Mene oder Mäne war mundartlich ein Gespann allgemein, bestehend je nachdem aus zwei Pferden oder als gemischtes aus Pferd und Ochse, auch Ochs und Kuh und zuletzt aus zwei Kühen. Seidner mit einem Äckerle und handtuchbreiter Wiese spannten Kühe vor den Wagen. Als Schaffkühe gaben sie weniger Milch, und wenn sie abgerackert und alt dann geschlachtet wurden, schmeckte das geräucherte Kuhfleisch in der Brühe entsprechend fad und ledern. Die Kuhbäuerle hatten den Spitznamen »Broitscheißer« wegen der Kuhfladen. Zogen Ochs und Kuh den Wagen, dann galt als Übername »Deich-selkläpperer«, weil durch die unterschiedliche Größe dieser Zugtiere an der Deichsel ein schepperndes Geräusch entstand. Die Steigerung war dann der Roß-bauer, und sein Stolz waren seine Gäul: der schwere
Kaltschlag,oderder»Raßgaul«.Solche
Bauern hielten sich einen Roßknecht. Er war der oberste in der Hierarchie der Dienstboten und Respektsperson mit besonderen Privilegien versehen. Es hieß »gut gefüttert ist halb geputzt«. Mit viel Hafer (in Mundart »Haber«) gefüttert, erhielten sie ein schön glattes Fell und Temperament. Und weiter im Dialekt unseres Gegenüber: »Dean Roßkneacht hett i kenna möga, der koin Haber gstohla hot«. Da die Pferde viel fraßen, mogelte ein sparsamer Bauer gern gehäckseltes Stroh unter das Futter. Alle Samstage striegelte der Roßknecht seine Roß und behandelte deren Hufe mit Wurzelbürste und Schmierseife, daß »se so weiß wora send wia s'ganga isch«. Das Gespann mußte ein Ansehen haben, wenn der 'Roßknecht auf den Markt oder zur Mühle fuhr. — Man erzählte voller Hochachtung von einem Unterweiler Knecht, der mühelos sich einen Dreizentnersack mit Frucht auf den Buckel lud und zur Mühle in Buch vom Wagen trug.

Auffallend bei diesem Gesprächspartner war, daß er zwischendurch nicht Monate nannte, sondern
sagte »das war vor Heiligkreuz oder danach«. Zum Beispiel durften die Kinder von Unterweiler erst ab Kreuzauffindung, 4. Mai, barfußlaufen. Oder »an Heiligkreuz ist alles nach Wiblingen gelaufen oder mit der Chaise gefahren. Die Kirche war ganz voll und es gab eine Prozession innerhalb der Kirche.« Damit war Kreuz-Erhöhung, 14. September, gemeint. Dies war zugleich das Titularfest für die Mitglieder der Heiligkreuz-Bruderschaft, zu dem Tausende von Wallfahrern aus nah und fern herbeiströmten. Die Benediktiner von Wiblingen haben nicht aus Prachtliebe eine so gewaltige Kirche gebaut, wenn sie nicht zugleich Kloster- und Wallfahrtskirche gewesen wäre. Die Kreuzwallfahrt wird an anderer Stelle gewürdigt.

Haus Anton Embacher

Haus Anton Embacher 1925 (heute Bei den Gärten 3). Auf den Pferden (von links) Anton Kopf, Anton Embacher und Konrad Embacher. Der este (von links) auf dem Langholzwagen ist vermutlich Vinzenz Embacher.

Die Ehhalten (Dienstboten) saßen um einen großen Tisch zusammen mit der Bauersfamilie. In die Mitte wurde der eiserne Pfannenknecht als Untersatz für die glühheiße Pfanne oder den Suppenhafen gesetzt. Zum täglichen Morgenmus gab es frisch gesottene oder vom Vorabend her kalte Kartoffeln. Der Kartoffelhafen mit der derberen Sorte für den Sautrog zuunterst und den besseren für die Leut `bben, hatte seinen Platz auf jedem Küchenherd oder im Ofenloch, das die Verbindung zur Stube bildete. Fein schmeckte zum Mus auch rohes Sauerkraut frisch aus der Stande und im Sommer eine Schürze voll Fallobst mit Jakobiäpfel, Wasserbirnen, Gais-hirtle oder Pflaumen. Um halb elf gab es Brot und Käs. Dazu hatte der Knecht seinen »Stoi« (Steinkrug mit 1 Liter), die Mägde je einen halben Liter Most. Der Most für den täglichen Bedarf war nicht so stark. Unterm Mittagläuten wurde schon die Suppe aufgetragen. Das Tischgebet war gerade so lang bis die Suppe nicht mehr dampfte. »Nudla und a guata Brüah, do hot ma scho' halba gessa ghet, ond wenn mai Auga rausgucket hent wia nei, noch war d'Suppa guat«. Danach gab es abwechselnd nackete Knöpfla mit Rauchfleisch, auch viel Geröstetes. Einmal pro Woche, entweder am Dienstag oder Donnerstag, gab es Fleisch. Das Freitagsgebot mit Enthalt von Fleischspeisen war demnach nicht schwer zu befolgen. Zum abendlichen Vesper aß man wieder Käs und Brot, doch stets handelte es sich um Backstein-käs. Zum Vesper gehörte nie Butter, auch nicht in der Wirtschaft. Der Schweizerkäs galt als etwas Besonderes. Er war deshalb vorbehalten für Kindstaufen, Hochzeiten oder Leichenschmaus. Dazu tischte man Kranzbrot oder Gugelhopf auf. Im Iller-tal und Allgäu nannte man den Schweizerkäs auch den »süßen Käs«. Beim Leichenschmaus standen Teller mit in kleine Vierecke geschnittenen süßen Käs auf den Tischen, wenn die Trauergesellschaft eingetroffen war. Doch vor dem seltenen Genuß mußte dem Verstorbenen in langen Gebeten die »ewige Ruh« gesprochen werden. Dorthin paßt die Geschichte des alten Weibles, das während des Betens ein Stückle Käs nach dem andern heimlich in die Rocktasche verschwinden ließ, um den Daheimgebliebenen etwas Gutes mitzubringen. Der »süße Käs« war nämlich ein beliebter »Marktkromet«. Als man sich zu Tische setzte, trat einer auf etwas Weiches und sah ein Häuflein von Käsbröckele aufgeschichtet, dort wo das Weiblein gestanden hatte. Ihr Rocksack hatte nämlich ein Loch!

Moriz-Falchner-Anwesen

ufnahme aus dem Jahre 1926: Moriz-Falchner-Anwesen mit von links Barbara Falchner, Josef Orner (verwandt), Franziska Engelhardt, verw. Kopf, Hubert Kopf (auf dem Arm seiner Mutter).

Krautacker und Krautgarten gehörten zu jedem schwäbischen Anwesen, denn Kraut war ein Hauptnahrungsmittel. So mußte vor dem Schlachttag der Krautschneider kommen. Er ging, den Krauthobel auf dem Buckel, nach Bestellung von einem Haus zum nächsten »auf die Stör«. Das Einstampfen des gehobelten und schichtenweise gesalzenen Krautes war Bubenarbeit. Erst mußten deren Füße blankgeschrubbt werden. Dann wurde der Bub in die hölzerne oder tönerne Krautstande gehoben, und los ging es mit Kraut ei-dappa. Auf diese hautnahe Art schäumte das Kraut besser als wenn es mit dem großen Holzstampfer bearbeitet wurde.

Kuhgespann mit Reinhard Engelhardt und Moriz Falchner

Aufnahme aus den Jahren 1938/39: Kuhgespann mit Reinhard Engelhardt (vorn) und Moriz Falchner (mit dem Rücken). Im Hintergrund Johann Speidel mit Pferd, dahinter sein Anwesen.

Pferde, Zugochsen und Schaffkühe mußten gehorchen. Auf »oha« oder »brr«, das vom Kommiß herkam, mußten sie anhalten. »Hüh« bedeutete die Fortbewegung des Fuhrwerks, wenn es beladen war oder leer zur Arbeit abfuhr. Auf »hott« hat man die Zügel einigemale recht »gezocklet«, dann wußte das Ge-spann, wohin es zu gehen hatte. Bei »wüscht« mußte der Wagen auf die andere Wegseite. Kühe habe man derber anfassen müssen als Pferde. Deshalb liefen Bauer, Magd oder Knecht neben dem Kuhgespann her und konnten auch mal der widerborstigen »Berta«, »Ria« oder »Paula« eins mit dem Ellbogen auswischen.

Kuhgespann mit Reinhard Engelhardt und Moriz Falchner

Aufnahme aus den Jahren 1938/39: Kuhgespann mit Reinhard Engelhardt (vorn) und Moriz Falchner (mit dem Rücken). Im Hintergrund Johann Speidel mit Pferd, dahinter sein Anwesen.

Der Markt in Weißenhorn im Herbst war wichtig für den Viehan- und -verkauf. Auch die Laupheimer jüdischen Viehhändler erschienen regelmäßig auf den Höfen und machten Geschäfte.

Holzhauer und Kulturarbeiterinnen

Holzhauer und Kulturarbeiterinnen, vermutlich um das Jahr 1916. Zweiter von links Anton Hartlieb, Zweiter von rechts Revierförster Maier aus Donaustetten.

Seldner gingen im Winter in den Wald zum Holzschlagen und im Sommer halfen sie als Taglöhner bei der Heu- und Getreideernte. Arme Männer trugen zwanzig Jahre lang denselben »guten« Anzug. Sie hätten, so weiß unser Gesprächspartner, nur dazwischen eine neue Hose dazugekauft. Unterweiler nahm stets seine Taglöhner aus dem Ort und jeder hatte »seinen Bauern«. Im Hirten- oder Hüte-haus (von behüten) wohnten zwei bis drei Familien in bescheidensten und engsten Verhältnissen bei vielen Kindern. Da war das Ährenlesen von Frauen und Kindern schon wichtig, um das tägliche Brot als Hauptnahrung zu sichern. Doch wovon diese Familien außerhalb des Taglöhnens lebten, das weiß keiner mehr. Die letzte Hebamme, Haiders Lisabeth, die dort vielen Kindern auf die Welt verhalf, wüßte es, doch sie ist tot. Der Pfarrer von Unterkirchberg, wird erzählt, habe armen oder ledig geborenen Kindern mit Vorliebe die Namen von Heiligen gegeben, wenn er gefragt wurde »wia taufet mir s'Kendle«. Ein Blick in den Kalender, und man taufte einen Cyprian, einen Columban »nochet bleibt s'Kendle gsond« ergänzte er die ungewöhnliche Namenswahl. Es gab viele Bettler, die um einen Ranken Brot oder eine Suppe bettelten. Kleinbauern, die vom Höfle allein nicht leben konnten, gingen in die Fabriken, arbeiteten als »Kramper«, die Bahnstrecken sauberhielten. Um beizeiten am Arbeitsplatz zu sein, war Abmarsch vor sechs Uhr von Unterweiler nach dem Bahnhof Einsingen. Von dort aus fuhren sie mit der Bahn nach Ulm. Als um 1910 die ersten Fahrräder erschienen, gönnten sie sich die Erleichterung mit dem Rad.

Alle Woche wurde im eigenen Backofen- oder Bachhäusle das Brot gebacken. Schon um fünf Uhr früh stieg der Rauch aus dem Kamin. Der Teig war am Abend zuvor geknetet und mit dem Kreuzeszeichen versehen worden. Er mußte aufgehen. Frühmorgens modelten die Frauen mit bemehlten Händen Laib um Laib aus dem Backtrog und schoben mit der Bachschaufel das Brot in den Ofen. Den Abschluß bildete das Weißbrot, das gerne »Kröpf« schob, ähnlich den Wecken. Sie waren eine Delikatesse. Aus dem Rest des Weißbrotteiges gab es Krapfen, die je nach Jahreszeit mit Apfelschnitzen, Kirschen oder Zwetschgen gefüllt waren und das Mittagessen bildeten. War schließlich der Backofen erkaltet, dann schlüpfte ein kleiner Bub durch das Ofenloch und kehrte ihn sauber aus.
Besondere Tage

Anwesen Sommer

Anwesen Sommer mit dem Farrenstall im Anbau.

Das Kloster Wiblingen hatte bis zur Auflösung für die Gemeinde Unterweiler Farrenhaltung betrieben. Man mußte also mit einer rindernden Kuh den dreiviertelstündigen Weg nach Wiblingen in den Klosterstall antreten. Da konnte schon einmal ein Bauer, der aus einer dringenden Arbeit herausgerissen wurde, grantig brutteln »des Mensch spielt scho wieder«. Ab Martini 1825 wurden Wiesen in Aispach zur Nutzung der Farrenhaltung an Michael Sommer als Hauptpächter überlassen. Mitteilhaber waren Josef Huber, Raimund Stolz, Johannes Dickmann, Georg Emberger und Johannes Haid. Diese Bauern hielten fortan Farren. Im Laufe der Weiterentwicklung der Landwirtschaft schaffte die Gemeinde den »Gmoidshägec( an. Man rechnete auf 80 Kühe einen Farren. Die Gemeinde-Farrenhaltung wurde immer auf dem Anwesen Sommer betrieben. Am 17. Dezember 1979 wurde die Bullenhaltung eingestellt, da inzwischen die künstliche Besamung durch den Tierarzt dem Farren seine Freude entzog. Hans Sommer, der 40 Jahre Farrenhaltung betrieb und mit seinen prächtigen Tieren sehr verwachsen war, wurde in einer Gemeinderatssitzung besonders geehrt. Mit seinem Namen ist die Erinnerung an die Bullen Hali-fax und Safran, der über 22 Zentner wog und viele Auszeichnungen und Staatspreise erhielt, eng verknüpft. Nach Verkauf von Safran an die Braunvieh-zuchtverband-Besamungsstation wurde er Testbulle.

Der Schultheiß, der Lehrer, der Wiblinger Pfarrer der Domänepächter vom Fischbachhof genoßen Ansehen. Vor ihnen zog man den Hut und sie saßen in den Wirtschaften an einem besonderen Tisch. Kam der Pfarrer oder eine Ordensschwester ins Dorf, wurden sie von der Jugend mit »Gelobt sei Jesus Christus« begrüßt, worauf die Antwort kam »In Ewigkeit Amen, so wia gohts en dr Schual, Annele« ?
Der Amtsbote war früher Ortsbüttel und Nachtwächter zugleich. Er sorgte für Ruhe und Ordnung bei Nacht und machte seine Runde zwei Stunden vor Mitternacht. Ihm oblag die Kontrolle bei der Einhaltung der Polizeistunde im Wirtshaus. Dabei half ab und zu »a Maulvoll Schnaps«, um die Hocker nicht sofort zu verscheuchen. Als die Möglichkeiten der Brandverhütung und Bekämpfung ständig verbessert wurden, ging kein Nachtwächter mehr auch zwei Stunden nach Mitternacht durchs Dorf.
Der Gemeindediener, an andern Orten Amtsbote genannt, war tagsüber seinem Schultheißen zur Hand und schellte die Bekanntmachungen aus. Seine Glocke wird im Rathaus verwahrt und in Ehren gehalten, seitdem die gedruckten Mitteilungen der Gemeinde an die Haushalte verteilt werden. Heute amtiert in Unterweiler eine Amtsbotin.

Ehepaar Sälzle

Ehepaar Sälzle, vermutlich mit den Söhnen Georg und Otto. Aufnahme aus dem Jahre 1922.

Früher wurden auf jedem Hof Schweine gehalten, einmal für den Verkauf an Metzger, das anderemal zur Hausschlachtung um den Thomastag (21. Dezember) oder Fasnacht herum. Da war es kalt. Die eingesalzenen Fleischstücke konnten auf dem Dachboden aufgehängt von selber eingefrieren. Auf diese Weise gab es länger Frischfleisch. Ein anderer Teil wurde in Lauge gelegt und dann geräuchert. Bei der Sau war es wichtig, daß sie viel Schmalz gab. Drei Zentner Gewicht, da hatte man eine fette Schicht zum Auslassen und auch gut Gruiben (Grieben) zum Schmälzen von Mus und Rösten der Kartoffeln. Heiße Grieben, mit Salz bestreut zu Bauernbrot eine Delikatesse! Der Hausmetzger Häfele war nicht besonders geschickt beim Sauschlachten, und er habe oft mehrmals draufhauen müssen, bis die Sau tot war. Doch sein Schwartenmagen weiß oder rot, seine Blut- und Leberwürste waren weitum bekannt. Arme Leute holten sich am Schlachttag ihre Wurstbrühe, in der noch zerplatzte Würste oder Fleisch-
stücke schwammen. Man sandte besonders ausgewählte Schmankerin dem Lehrer und die Metzgete in die Nachbarschaft und den Verwandten am Ort. Da Unterweiler keinen eigenen Pfarrer hatte, entfiel eine solche Sendung ans Pfarrhaus. Die Sitte, eine Metzgete zum Lehrer und Pfarrer zu schicken, ist in einem Spruch, nur umgekehrt, erhalten: Die Mutter ermahnt ihre Lieben bei der Metzelsupp »Kender, esset 's Floisch ond d' Wüscht, damit em Pfarrer ond Lehrer no viel Kraut übrigbleibt«. Oft wurde zur Sau noch eine Metzgkuh geschlachtet und deren Fleisch mit verwurstet. Kuhfleisch gab zwar eine gute Brüh, in der die »nacketen Knöpfle« schwammen, aber »des Floisch hot scho so Fransa gheet und war zäh«, erinnert sich unser Gesprächspartner.


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Der alte Kögel hat bis zur Jahrhundertwende mit einem zweirädrigen Karren an die 100 Liter Milch in Kannen von Unterweiler nach Ulm ausgefahren. Kögel lief auf der einen Seite der Wagendeichsel, sein großer Bernhardiner oder ein kräftiger Mischlings-hund zog auf der andern Seite. Tag für Tag bei jedem Wetter legten Herr und Hund diesen Weg hin und zurück. Wenn er vom Wiblinger Wald heimkehrte, lag ab dort schon der Schnee, so viel kälter war Unterweiler.

Ohne direkten Bahnanschluß war es einem Schüler höherer Lehranstalten kaum möglich, den täglichen Weg nach Ulm und zurück zu Fuß zurückzulegen. Es kam in der Regel nur eine Schule mit Internat infrage, und das kostete Geld. Nur wenige Eltern konnten dies aufbringen oder hatten Verständnis, wenn ein besonders begabter Volksschüler
studieren wollte. Einer wurde Lehrer. Pater Vitus Laib Ordensmann. Einer Bankkaufmann, erinnert
sich unser Gesprächspartner. Die Unterweiler Dorfbewohner waren stolz auf ihre wenigen Gymnasiasten, und die Buben mit ihren bunten Klassenkappen galten für sie schon als höhere Wesen.

Familie Patent vor ihrer Scheune

Familie Patent vor ihrer Scheune. Rechts Göpel von zwei Pferden gezogen (1910).

Im Jahr 1921 kam die Elektrizität ins Dorf. Öl-und Karbidlampen, die unaussprechlich stanken und rußten, wanderten auf die Müllhalde, und, wenn es gut ging, auf dem Dachboden.
Es ist heute schon schwer, einen Dreschflegel aus Hartbuche mit seiner Kappe aus Schweinsleder mit einem ca 1,40 m langen Stiel zu ergattern, denn diese bäuerlichen Geräte werden inzwischen gerne in Hausfluren oder rustikalen Trinkstüble des Eigenheims zur Zierde aufgehängt. Bis um die Jahrhundertwende gehörte das harte Klappern der Dreschflegel zu den winterlichen Geräuschen. In der Regel begann das Dreschen um Martini (11. November) wenn die Arbeit im Freien beendet war, und hörte um Lichtmeß (2. Februar) auf. Nach einem kräftigen Morgenessen begann man beim Flackern der Petroleumlampen gegen fünf Uhr in der Frühe. Zuerst wur-
den die Garben in der Scheune auf den Boden gelegt
und aufgebunden. Jeder Drescher holte seinen Flegel, der am Scheunentor aufgehängt war, und stellte sich
in Reih und Glied. Ein bestimmter Abstand in der Länge von Stiel und Flegel war notwendig, wie auch die Einhaltung des Taktes nach der jeweiligen Zahl der Drescher. Kleinere Bauern droschen zu dritt, große mit sechs Personen. Es war nichts besonderes, wenn einem Sechsjährigen ein kleinerer Flegel, wie auch den Frauen, in die Hand gedrückt wurde, damit er frühzeitig lerne. Danach wurde das Stroh weggezogen und die Körner auf dem Boden zusammengekehrt. In der von Hand getriebenen Blähmühle mit Gebläse wurde die »Spreu vom Weizen« getrennt. Körner kamen in den Fruchtkorb. Die Spreu wurde in Säcke abgefüllt, die Bettmaß hatten. Dies waren die Matratzen von einst. Bei Bier und Küchle nach einem guten Mahl feierte man zum Abschluß die »Flegelhenke«, ähnlich der »Sichelhenke« im Sommer.
Bereits in den Neunzigerjahren des vorigen Jahrhunderts leistete sich mancher größere Bauer eine Dreschmaschine, die mit Pferde- oder Ochsengespann mittels Göpelwerk betrieben wurde. Dazu liefen die Gespanne im Kreis herum. »Onsere Gäul hand fescht schaffa müssa. Da alta Gaul hot ma schona müssa, der isch reiwärts glaufa. Dr jonge hot en graißera Weag ghet, weil der außa war«. Für die Saatfrucht war das Dreschen schädlich, weil damit Körner verletzt wurden. Für schonende Behandlung sorgte dabei der Huf von Pferd, Ochse oder Kuh, die das Korn vom Stroh stampften. Das Knechtle hat dabei die wichtige Aufgabe übernommen, flugs mit dem Kübel zur Stelle zu sein, falls ein Strahl, Roßäp-fel oder Kuhpflattern die Körner verunreinigen sollten.
Mit der Dampfmaschine ging das Dreschen rascher vonstatten. Sie habe unheimlich gestoben, und einer mußte dauernd die gedroschene Frucht auf den,. Dachboden tragen. Das war Schwerarbeit. Mit den Elektromotoren verschwand der Göpel. Die Gespanne wurden überflüssig, und die Maschinen reduzierten den Einsatz von Arbeitskräften ganz erheblich. Knecht und Magd hatten ausgedient.

Gruppenbild bei der Vergrößerung des Schulhauses

Bei der Vergrößerung des Schulhauses 1907.

Es gab nur einen Lehrer und ein Klassenzimmer für alle Altersstufen. Die Schulakten von 1867 bis 1883 geben einen guten Einblick über Vakanzen, Schulbesuch und Krankheiten: Ferien vom Jahr 1867:
In der Heuernte 6 Tage
Fruchternte 11 Tage
Herbstvakanz 18 Tage
am Geburtsfest Sr. Majestät des Königs 1 Tag
am Geburtsfest Ihr. Majestät der Königin 1 Tag
in der Fasnacht 2 Tage
in der Charwoche 3 Tage
an den 4 Lehrerkonferenzen 4 Tage.
Es waren somit 46 schulfreie Tage.
Schulversäumnisse im Sommer mit Erlaubnis 153 wegen Krankheit 18.
Schulversäumnisse im Winter mit Erlaubnis 3 wegen Krankheit 5.
Dagegen war das Schuljahr 1878-79 von Krankheit gezeichnet. Es hat sich vermutlich um eine ansteckende Kinderkrankheit gehandelt.
Schulversäumnisse im Sommer - mit Erlaubnis 181 wegen Krankheit 242,
Schulversäumnisse im Winter - mit Erlaubnis 23, wegen Krankheit 307.
Aus solchen Zahlen wird ersichtlich, daß die Heu-und Ernteferien nicht ausreichten und die Kinder die Schule schwänzen mußten, damit sie zu Haus bei der Arbeit mithelfen konnten.
Während des zweiten Weltkriegs wurden durchschnittlich 70 Schüler und Schülerinnen der Klassen 1-8 in einem Schulzimmer unterrichtet. Vor dem Schulhaus befand sich ein laufender Brunnen, aus dem jeweils zwei Schüler abwechselnd die Schüssel zum Händewaschen und Schwammbefeuchten des Lehrers füllen mußten.onntagsschule wurde in Wiblingen abgehalten, von der dann wegen des weiten Wegs die Unterweiler Schüler befreit waren. Schulentlassene Bauerntöchter verdienten sich Taschengeld oder etwas für die Aussteuer beim Fichtenpflanzen im Wald. Besser gestellte Eltern sandten für ein Jahr ihre Töchter in die Hauswirtschaftsschulen St. Walburga in Ochsenhausen oder Frauenklöster in Bonlanden und Reute. In Bonlanden gab es auch Französischkurse, doch das dort um 1900 benutzte Lexikon war mehr als bescheiden. Es enthielt u.a. das Wort pot-de-chambre (Nachthafen), der zu dieser Zeit noch allgemein im Gebrauch war. Doch dieses schlimme Wort war dick mit Tinte durchgestrichen worden, denn es ziemte sich nicht davon zu sprechen!Hauptziel der Mädchenerziehung war die gute Bäuerin, die tüchtige Müllerin, die umtriebige Hand-werkersfrau und die trefflich kochende Wirtin. Töchter aus solchen Familien kamen gerne auf den Fisch-bachhof oder in herrschaftliche Häuser oder gute Gasthöfe nach Ulm als Haushaltshilfen.
Bauernsöhne nach der Schulentlassung erhielten ihre Weiterbildung während des Winters in den Landwirtschaftsschulen Laupheim und Ulm.


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Franz Kienzler mit dem Noerpel-Gaul

Franz Kienzler mit dem Noerpel-Gaul ,,Frieda" im Sommer 1973 vor dem Ulmer Rathaus.




Durch die Technisierung ging die Pferdehaltung stark zurück. Bis zum Jahr 1973 hielt sich Konrad Embacher ein Pferd, das ihm im Wald beim Holzziehen gute Dienste tat. Franz Kienzler mußte seine treue »Frieda« in den Ruhestand geben. Sie zog zuletzt den gummibereiften Transportwagen der Spedition Noerpel in Ulm.
Der Bauer war meist im Viehstall beschäftigt, wie die Stallmagd und der Dienstbub. Bei großem Viehbestand wurde ein »Schweizer« angestellt, der, wie der Roßknecht, im Viehstall den Ton angab. Dienstbuben, auch Hütebuben im Herbst, waren leicht zu finden, denn jedes Elternpaar mit einem Nest voller Kinder war froh, wenn eins aus der Schüssel kam und Essen samt kleinem Lohn in sehr jungen Jahren
bei einem größeren Bauern verdiente. Bei einer guten Herrschaft war das acht- bis zehnjährige Knechtle wohlgesehen und wurde herausgefüttert. Tat der Enkel seiner Ahne einen besonderen Liebesdienst, so konnte sie zu ihm lobend sagen »so jetzt bischt a Kneachtle gwea«.
Ein Drittel der Grundstücke waren feuchtere Wiesen mit kaum ausreichendem Heuertrag. Wurde im Frühjahr das Heu dann knapp, weil die Ernte »liadrig« ausgefallen war, dann trieb man das Vieh in den Wald. Noch bis in die Jahre 1925-30 rupften ärmere Bauern das Wald- oder Milchgras als Viehfutter. Zur Zeit von Vater und Großvater unseres Gesprächs-partners gab es noch keine Düngung im heutigen Sinne. Man habe vieles der Natur überlassen, höchstens ab und zu Gips auf die Felder verstreut. Die Milchwirtschaft war nicht so intensiv wie heute. Einen Teil der Milch verbrauchte die Familie, denn morgens nach dem geschmälzten ”schwaaza Brei«, wie das Habermus hieß, gab es Milch und Brotbrocken, und abends wiederum Milch und Brot zu Kartoffeln aus der Schale gelöffelt. »Wär heut noch gut fürs Bauchwaih, so viel gute Milch zu trinken«, meint unser Gegenüber. Damit jeder seine Milch samt Rahm erhielt, wurden die braunen Milchscherben übereinander gestellt und jeweils durch ein dazwischengelegtes Brettle abgesichert. In der kalten Jahreszeit standen die Scherben in der Stube und blieben angenehm kuhwarm. Im Sommer wurden sie für die süße und saure Milch in den kühlen Keller gebracht.