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Der Fischbachhof

Fischbachhof

Wohngebäude und Scheuern nebt Stallungen des Fischbachofs im Jahre 1923.

Der Fischbachhof 1 Kilometer östlich von Unterweiler hat seinen Namen nach dem südlich von Unterweiler entspringenden Fischbach. Er wird erstmals urkundlich erwähnt im Jahre 1353 anläßlich des Verkaufs der Brüder Berthold, Walz und Konrad von Stein an das Kloster Wiblingen. Das Kloster gab Jahrhunderte hindurch das 60 Jauchen Ackerland, 14 Tagwerk Wiesmahd samt Waldungen umfassende Hofgut als leibfälliges Bauernlehen aus. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts baute Kloster Wiblingen unter Einbeziehung von Unterweiler Feldern das Gut zu einem Meierhof aus. Er wurde von einem klösterlichen »Baumeister« unter Aufsicht des Großkellers als Verwalter des Klosterbesitzes mit acht bis zehn Dienstboten bewirtschaftet. Nach Aufhebung des Klosters wechselte auch der Besitzer. Von der Bayerischen Regierung des Donaukreises 1806 aufgelöst, gelangten Felder und Waldungen zunächst an Ichenhausener Juden, die sie in Einzelparzellen weiterveräußerten. Unter Württembergischer Regierung wurde der Fischbachhof in eine Staatsdomäne umgewandelt, auf der die Familie Kümmerle hundert Jahre als Domänepächter saß und sie vorbildlich bewirtschaftete. Während der Zeit des Nationalsozialismus mußte die Staatsdomäne an die Württembergische Landsiedlung abgegeben werden, um daraus »Erbhöfe« zu machen. Alle Bemühungen des Domänepächters, das Hofgut, das inzwischen Heimat mehrerer Generationen geworden war, käuflich zu erwerben, scheiterten an der starren Haltung der politischen Instanzen. Den Zuschlag erhielt ein damaliger Bauernführer. Von diesem erwarb die Stadt dann im Jahr 1955 den Fischbachhof und verpachtete ihn bis 1976. Die Liegenschaften wurden dann vorwiegend an Unterweiler Bauern verpachtet und in das geräumige Wohnhaus sind drei Familien eingezogen. Vom einstigen stattlichen Anwesen zeugt heute nur noch die Lage zwischen Wiesen und Wald, sonst ist der Lack abgegangen.
Wir mußten zur Staatsdomäne Falkenstein, Landkreis Heidenheim, fahren, um Angehörige der Familie Kümmerle, die vom Fischbachhof nach dorthin gezogen sind, zu befragen. Dabei erstand vor unsern Augen eine fast herrschaftlich zu nennende Hofhaltung »dia hent sich en Hofstaat geleistet mit 8-10 Roßknechten, die dem Oberknecht unterstanden«. Man hatte dreißig Kühe und dafür einen Schweizer. Für die Ochsen war der Oswald zuständig, eine treue Seele und Vertrauensperson der Pächterseheleute. Oswald konnte basteln, hütete Schafe, und war bekannt bis Laupheim als der »Oswald vom Fisch-bachhof mit seinem Stelzfuß«. Als er verstarb, wurde sein Grab auf dem Wiblinger Friedhof mitge-pflegt wie bei Familienangehörigen. Zu diesem Stammpersonal kamen junge Knechte, Mägde und vor allem Haushaltshilfen, deren Zeugnisbewertung allein der Fischbachhof bedeutete. Für die Heu- und Getreideernte kamen Taglöhner, meist ärmere Leute von Unter- und Oberkirchberg, doch stets nur Männer, keine einzige Frau. Das hätte zu Techtelmechtel und Eifersüchteleien leicht geführt, ist die Erklärung. Es erschienen alle Jahre dieselben Schnitter von der Alb, denn dort war die Ernte etwas später. Von Burgberg kamen Weber als Taglöhner, Rechenmacher und Besenbinder.
Da gab es viel Arbeit in der Küche, um so viele hart Arbeitenden zu verköstigen. Dazu wurde in der Eingangshalle ein langer Tisch gedeckt, wo es nach der Suppe viel Mehlspeisen gab: Eierhaber, Pfannkuchen, Baurahocker (Küchle), Grießschnitten. In gewöhnlichen Zeiten aßen die Dienstboten am großen Tisch in der Küche, die Pächtersfamilie »im Schlag«. Dies war ein kleiner Eßraum, der durch eine Bretterwand vom übrigen Raum abgeteilt war. Auf der Alb hieß er »der Unterschlag«. Dort wurde stets dasselbe Essen aufgetragen wie bei den Dienstboten.
Damit sind wir bei der Seele des Hofguts, Ursula Kümmerle, Tochter des Lammwirts Pfetsch in Seissen, geboren 1876, angelangt. Sie wurde von ihrem Mann, Martin Kümmerle, geboren 1874, gestorben 1926 »Lina« gerufen. Der Name blieb ihr. Martin Kümmerle, geboren auf dem Fischbachhof wie seine Vorfahren, war Gasthörer an der Landwirtschaftlichen Hochschule Hohenheim, kam dann auf fremde Güter und übernahm danach den Fischbachhof. Seine Chaise mit den beiden Rassepferden »Berta« und »Bella« davorgespannt, fuhr mit der Familie sonntags in die kleine protestantische Kirche in Wiblingen, deren junger Pfarrer samt Frau gerne im Fischbachhof einkehrten. Obwohl protestantisch, achtete Martin Kümmerle darauf, daß die Unterweilener bei ihrem Flurumgang mit Kreuz und Fahnen am Fischbachhof vorbei durch dessen Felder betend zogen.

Zwielsack

,,Zwielsack", auch ,,Korasack" genannt mit dem Aufdruck des Fschbachhofs von 1895. Damit wurden Getreidekörner transportiert.

Johann und Hermine Lepold erzählen: Unsere Vorfahren sind vor ca. 250 Jahren aus dem Raum Fulda nach Süd-Ungarn (Baranya) ausgewandert. Zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia war Ungarn sehr bekannt und beliebt. In der Bacska konnte Land erworben und besiedelt werden, denn durch eine ansteckende Krankheit sind viele Familien und Geschlechter ausgestorben und die Anwesen konnten von »Fremden« erworben werden. Die Böden waren ertragsreich und die Betriebe waren oftmals reine Selbstversorger. Die Integration verlief meist ohne große Probleme. Es bildeten sich Gemeinschaften und Dörfer.
Nach der Mobilmachung zum ersten Weltkrieg wurden die wehrpflichtigen Männer eingezogen. Das
ungarische Militär kämpfte zunächst gegen Jugoslawien und erhielt Unterstützung von Deutschland. Dadurch entstand ein Dreibund. Ungarn hat zusammen mit dem Dreibund, wie Deutschland, den Krieg verloren. Nach dem Krieg herrschte große Armut und es ging vielen sehr schlecht. Allmählich erholte sich unsere Heimat, erlitt aber durch Naturkatastrophen immer wieder herbe Rückschläge. Ab 1925 ging es friedlich aufwärts bis etwa 1930. Etwa ab diesem Jahr baute Ungarn wieder eine Wehrmacht (Militär) auf. Die Gründung des Hitlerreiches wurde zwar bekannt, wirkte sich jedoch anfangs fast nicht spürbar aus. Im Jahr 1939 brach der zweite Weltkrieg
aus, und im Frühjahr 1940 wurde Ungarn von den Deutschen besetzt. Die zuerst eingezogenen Männer
wurden gegen die Russen eingesetzt. Später wurden die deutschstämmigen Männer zur Waffen-SS (Volksdeutsche Division), und ab 1944 dann alle Männer zum Volkssturm eingezogen.

m Jahr 1939 wurden ein halbes Dutzend Dienstboten auf einen Schlag zur Wehrmacht eingezogen. Der damalige Eigentümer mußte sein Soll mit Lieferung an die Wehrmacht erfüllen, und so wurden ihm Kriegsgefangene, ein Russe, zwei Ukrainer und fünf Polen zugeteilt. Als dann die Polen abzogen, kamen ehemalige Knechte auf den Fischbachhof als Ährenleser.

Oßwald mit dem Ochsengespann des Fischbachhofs.

Oßwald mit dem Ochsengespann des Fischbachhofs.

Im Oktober 1944 begann die Flucht der deutschstämmigen Bevölkerung. In der Kreisstadt Pecsvarad (Fünfkirchen war die Hauptstadt) wurden die Flüchtenden bzw. Vertriebenen gesammelt. Im Zug ging es nach Kriklach in Österreich, wo wir von Herbst 1944 bis Frühjahr 1945 verblieben. Dann begann eine achttägige Irrfahrt in offenen Waggons bis wir schließlich in Simbach/Bayern landeten. Dort waren wir rund ein Jahr. Ein persönlich gebildeter Kreis hat sich dann in Richtung Ulm aufgemacht. Nach rund einem Monat kamen wir über Schloß Dellmensin-gen im April 1946 dann nach Unterweiler. Zunächst fanden wir Unterkunft im Schul- und Rathaus. Im Juni 1952 konnte endlich der Wohnhaus-Neubau in der Siedlung, heute Jahnweg, bezogen werden.
Wie allen Leuten der damaligen Zeit ging es uns. Wir halfen bei den Bauern, gingen ständigen Beschäftigungen nach und erhielten Ausbildungsstellen für unsere Kinder. Das Einleben in Unterweiler war angenehm. Die Einwohner nahmen uns bald voll an. Bald vermischten sich die jungen Leute, schlossen Ehen untereinander, arbeiteten sich empor und trugen zur geselligen und wirtschaftlichen Entwicklung bei.
Bald wurden auch »Heimatvertriebene« in den Gemeinderat gewählt. Wir nahmen die neue Gemeinde als Heimat an und wirkten auch in den kirchlichen Bereichen gerne mit. Heute, nach mehr als fünfundvierzig Jahren, können wir sagen: Unsere jetzige Gemeinde ist uns eine liebe Heimat geworden.

Ehepaar Kümmerle

Das Ehepaar Martin und Ursula Kümmerle.

Es gab einen Obst- und Gemüsegarten beim Hof, in dem Lina Kümmerle sogar Spargel pflanzte. Kirschenbäume standen an der Straße nach Unterweiler und im Dorf selber hatten die Kümmerles einen zweiten Obstgarten. Der Beeren- und Obstertrag mußte gedörrt, eingeweckt und vermostet werden. Viel Arbeit, doch fröhliche Stimmung, denn Frau Lina sang so gern mit ihren Haushaltshilfen und Mägden, am liebsten »Es waren zwei Königskinder«. Der tägliche Bedarf für so viele Leute erforderte damals sehr viel mehr Handarbeit als heute.
Die Rahm mußte in seinem Holzfaß mit Fensterle so lange geschwungen werden, bis die goldgelbe Butter sichtbar war. Danach wurde sie geknetet und in Holzmodel mit Rosenmotiv gedrückt. Weitum bekannt war Frau Kümmerles Backsteinkäs, dessen
Vierecklaibe sie täglich in einem besonderen Keller eingerieben hat, denn Käse im Mostkeller, daraus wird nichts. Sie befand sich im Wettbewerb, ob der Käs des Unterkirchberger Pfarrers oder der ihrige der bessere sei.
Bei der Sichelhenke nach einem guten gemeinsamen Essen wurde die Eingangshalle zum Tanzboden ausgeräumt. Der Ochsenknecht Oswald als Hausfaktotum war der flotteste Tänzer mit seinem Holzfuß. Wenn er mit der rundlichen Hausfrau den ersten Walzer drehte, stand die ganze Gesellschaft vergnügt in der Runde und schaute zu.

Wochen zuvor hatte die Hausfrau gebacken: Bröt-le, Lebkuchen, Hutzelbrot. Diese fanden Anerkennung selbst im bekannten Cafe Gindele in Ulm, wohin der Fischbachhof Milch und Rahm lieferte. Am Heiligabend war alles da zum gemeinsamen Abendessen mit den Dienstboten. Der Tisch war weiß gedeckt mit gutem Geschirr und Besteck für meist zwanzig Leute. Dienstboten trugen ihr Sonntagsgewand. Der Hausherr hielt eine kurze Ansprache, dann folgte das gemeinsam gesungene »Stille Nacht«, das voll und andächtig klang bei so vielen Leuten. Zuvor hatte der Hausherr den Christbaum angezündet und den guten Wein vom Unterland bereitgestellt. Die Haushaltsmädchen und Mägde erhielten etwas für die Aussteuer und eine Tüte Gebäck; die Knechte eine warme Weste, Handschuhe und auch »a Guck' voll Brötla«. Dann wurde gegessen, meist Wild, Spätzle und Salate , hinterher ein Schnäpsle.
Am Weihnachtssonntag durfte der Oberknecht mit der Chaise oder dem Herrschaftsschlitten seines Herrn heimfahren zur Christbaumschau. Wie emsig mußte er die Messingbeschläge des Pferdegeschirrs mit dem Namen »Kümmerle, Domäne Fischbach« vorher geputzt haben!